Scorpions
1971 in Hannover, Deutschland, gegründet, "können für sich die Ehre in Anspruch nehmen, den schlaffen Dinosaurier Heavy Metal durch die siebziger Jahre geschleift zu haben" ("New Musical Express").
Brillant betreut von Dieter Dierks, "dem möglicherweise besten Heavy Metal-Produzenten der Welt" ("Rolling Stone"), ließen Rudolf Schenker (g), geboren am 31. August 1948, Francis Buchholz (bg), geboren am 19. Februar 1950, Matthias Jabs (g), geboren am 25. Oktober 1955, Herman Rarebell (dr), bürgerlich: Hermann Erbel, geboren am 18. November 1948, "interessante Riffs" und "überraschende Arrangements" hören und zeigten dabei ein "beachtliches, fundiertes musikalisches Wissen" ("Billboard"). Zu Rarebells Drum-Drive, "der wie eine Peitsche zischte" ("Melody Maker"), lieferte Sänger Klaus Meine, geboren am 25. Mai 1948, einen in der Phrasierungskunst sowie Falsett-Akrobatik subtilen und ausgefeilten Gesangsvortrag, der seine Gruppe als Bad Boys Running Wild (Single) glorifizierte, deren Animal Magnetism (LP) einen ungeheuren Lovedrive (LP) signalisierte und in ein rhythmisches Unwetter umschlug: Love You Like A Hurricane.
"Mag sich auch Gitarrist Jabs freizügig aus Eddie Van Halens Arsenal an instrumentalen Tricks bedienen und Sänger Klaus Meine wie Rob Halford von Judas Priest losröhren - der Gesamteffekt ist so tollkühn überzogen, daß irgendwie alles hinhaut", staunte "Rolling Stone". Auch der "Record Mirror" schmolz beim Anhören der Metallurgen dahin: "Scorpions sind eine der wenigen Bands in diesem Genre mit der Fähigkeit, einen in Mark und Bein zu erschüttern und den Zuhörern Wonneschauer über den Rücken zu jagen. Es ist natürlich der reinste präpotent angeberische Eskapismus, den wir aber von Zeit zu Zeit brauchen. Dabei verdient es die Gruppe, wirklich ernst genommen zu werden."
Tatsächlich erreichten seit 1982 alle Scorpions-Alben wie Blackout, Lovedrive, World Wide Live, Savage Amusement allein in den USA Millionenauflagen. Die Konzerte der Gruppe waren in Japan wie Frankreich, in der UdSSR wie Südamerika Massenattraktionen. Zweifelhaftes Aufsehen erregten die Musiker dabei auch durch extrem sexistische Plattenhüllen und Konzertposter, die Frauen als Spott- und Lustobjekte in einer rüden Manier vorführten, wie sie selbst im wenig zimperlichen Metal-Milieu ungewöhnlich war. Scorpions hatten um den Kern Klaus Meine, Rudolf Schenker seit ihrer Formation zahlreiche Besetzungswechsel erfahren. So verließ Rudolfs Bruder Michael Schenker (g), geboren am 10. Januar 1955, 1974 die Gruppe und schloß sich für sechs Jahre den britischen UFO an, bevor er kurzfristig zu den Hannoveranern zurückkehrte, dann erneut wieder den Scorpions-Stachel löckte und mit seiner Michael Schenker Group auf einen erfolgreichen Solo-Trip ging. Seit 1977 bis in die neunziger Jahre blieb das Ensemble unverändert. "Wir haben nie nach den besten Musikern gesucht", erläuterte Rudolf Schenker die Gruppen-Philosophie, "sondern nach Leuten, die zusammenpassen. Wir wollten Harmonie, aber auch Disharmonie haben. Disharmonie ist nämlich wichtig für die Kreativität. Das ist wie bei einer Gitarrensaite - ohne Spannung gibt es keinen Sound. Ist aber zuviel Spannung da, bricht die Saite."
1989 beendete Schenker wegen finanzieller Streitigkeiten und Umbesetzungswünschen die jahrelange Zusammenarbeit mit Dieter Dirks, und die Scorpions wechselten zu Phonogram. Die Band ging gestärkt aus der Krise hervor: Das Phonogram-Debüt Crazy World (1990), von Keith Olsen produziert, enthielt den als Single ausgekoppelten Song Wind Of Change, weltweit ein Top Ten-Hit. Single wie Album brachten der Schenker-Crew Gold und Platin ein. Olsen war es gelungen, den Sound der Hard Rocker verbindlicher zu gestalten und damit neue Hörerkreise zu erschließen, ohne die alten Fans zu verprellen.
"Nur selten zogen die fünf Aufrechten in den vergangenen Studio-Jahren derart ungeniert vom Leder. Von Kopf bis Fuß regeneriert, entfachen sie ein Rock-Feuerwerk der explosivsten Sorte", jubelte "Musikexpress". 1991 lud sie Präsident Michail Gorbatschow zu einer Audienz ein - wegen des laut "Spiegel" als "weltweit gültiger Pop-Kommentar zum Ende des Kalten Krieges bejubelten" Hits Wind Of Change. Danach verließ der langjährige Bassist Francis Buchholz, nebenbei Finanzmanager der Band, die Scorpions und wurde durch Ralph Rieckermann ersetzt. Nach einer Welttournee 1993/94 mit dem Repertoire des Albums Face The Heat (1993) veröffentlichten sie zum Abschied von Phonogram das Live-Album Live Bites (1995), während EMI im selben Jahr den Best-of-Sampler Deadly Stings auf den Markt brachte. Trotz ihrer rund 25 Millionen verkauften LPs litt die Band, "von der keiner unserer Leser zugeben würde, daß er eine ihrer Platten im Schrank hat, obgleich er die meisten Songs mitsingen kann" ("New Musical Express"), unter ihrem Krautrock-Image von Musikern mit Frauen und Kindern "in matt-luxuriösen Eigenheimen in Hannovers Vororten, wo Deutschland am prosaischsten ist" ("Der Spiegel"). Ein in New York gewerkeltes Video, You And I, "das unter der Regie von Markus Nispel mit Hochhaus-Projektionen und nächtlichen Straßenszenen Kraft und Gefühl in suggestive Bilder umsetzt" ("Der Musikmarkt"), sollte das ändern, bevor die im heimatlichen Studio entstandene CD Pure Instinct (1996) in die Läden kam. Kleiner Wermutstropfen: Drummer Rarebell hatte genug von der Scorpions-Idylle und stieg aus. "Der Spiegel" zitierte in einer Story von Wolfgang Höbel "über die deutsche Rockband Scorpions und ihren Kampf um Klasse" den Gitarristen Rudolf Schenker ("Wenn du nach Hause, nach Hannover kommst, da ist Ruhe, da ist die Familie, das ist in Ordnung so") und bestätigte mit einem hämischen Kommentar den Satz vom Propheten im eigenen Lande: "Also keine Häuser in Malibu oder auf den Dächern Manhattans, keine zertrümmerten Hotelzimmer, kein wüster Rock 'n' Roll-Terror mit Schweinen im Flugzeug oder zu Kleinholz zerdroschenen Gitarren: viel Milch, wenig Kakao auf der Kinderschokoladenseite der Popmusik."
Immerhin gastierten die Scorpions mit ihrem neuen Drummer James Kottak, geboren am 26. Dezember 1962 in Louisville, Kentucky, 1998 auch wieder in den großen Städten Südamerikas, wo der Kakao herkommt. "Isn't it fun/To be number one" - so auf der von Peter Wolf produzierten CD Eye To Eye (1999), deren Texten Wolfgang Hertel im "Musikexpress" nachsagte, man habe sie "in dieser Einfalt garantiert noch nicht gehört": "Brake the bread, drink the wine/In my heart you live forever/Time to go is never right."
Klaus Meine war sich sicher, "daß ich diese Texte auch in fünf Jahren noch singen kann". Rudolf Schenker: "Gerade wenn viele Leute denken, bei den Scorpions läuft nix mehr, kommt doch wieder was. Wachsame Pioniere wie wir entdecken immer wieder die Lücke, in die sie reinstechen können. Und auf einmal merken sie, daß sie auf Gold gestoßen sind."
Die Lücke war 2000, nachdem Eye To Eye nicht so richtig lief, die Weltausstellung in Hannover, die auch nicht so richtig lief. Daran war das Konzert der Band bei der Expo 2000 mit den Berliner Philharmonikern nur bedingt schuld. Als der Event aus der Hauptstadt Niedersachsens auf der CD Moments Of Glory (2000) zu Markte getragen wurde, gestand selbst das zu Promotion verpflichtete Branchenblatt "Der Musikmarkt" ein: "Über die Dringlichkeit und den künstlerischen Wert mag man tatsächlich streiten können, doch eines ist unstrittig: Der Käufer will derlei Klassik/Rock-Fusionen, ob's den Feuilletonisten paßt oder nicht."
Nur wegen der Verrisse hätte die Band allerdings nicht gleich ins Kloster gehen müssen. Gemach. Dort, in Portugal, meditierten die Musiker nicht nur mit den Mönchen, sie nahmen zwischen den Klostermauern auch ihre Live-CD Acoustica (2001) auf. Die Lücke, in der die wachsamen Pioniere diesmal nach Gold schürften, hieß Unplugged. Meine: "Früher wollten wir nie auf diesen Zug aufspringen. Nun hatten wir Lust, schrieben neue Songs, arrangierten alte und spielten ein paar Cover-Versionen ein."
Im Mai 2001 war der Zug noch nicht angekommen, der Goldschatz noch nicht gehoben, um bei den bandeigenen Vergleichen zu bleiben, die Scorpions aber wie immer hoffnungsfroh. Meine: "Wir sind jetzt erst dabei, unsere Früchte einzusammeln. Wir spielen heute mit einem Sinfonieorchester in Moskau, übermorgen einen Rock-Gig in Mexiko, die Möglichkeiten sind gigantisch. Wir wären ja blöd, wenn wir jetzt zu Hause bleiben würden."